Whisper, Secret, Firechat, rumr, Truth – die Zahl der Apps, mit denen man anonym Nachrichten an seinen Freunde schickt oder chattet, ohne seine Identität preiszugeben, explodiert im App Store und Google Play im gleichen Maß wie die ihrer Nutzer.
Diese Anwendungen erlauben es, Bild- oder Textinhalte völlig anonym öffentlich oder mit den eigenen Kontakten zu teilen. Abgesehen von der Anonymität unterscheiden sich die Programme etwas voneinander.
Doch wie funktionieren diese Apps, wofür eignen sie sich und was werden sie in Zukunft bringen?
Chats, soziale Netzwerke, Meldungen … Anonymität geht vor!
Einige dieser Anwendungen, wie Whisper sind seit einigen Monaten am Markt. Andere, wie Secret und Firechat wurden erst vor wenigen Wochen veröffentlicht und surften auf der Woge des Trends in wenigen Tagen bis an die Spitze der Charts.
Firechat zum Beispiel sei “in nur 15 Tagen in 105 Ländern in die Top Ten der Social Networks aufgestiegen”, sagt CEO Micha Benoliel. Und nur zwei Wochen nach Marktstart habe kam alle zwei Sekunden ein neuer Nutzer hinzu.
Allerdings unterscheiden sich diese Messaging-Apps voneinander – jede hat ihre eigene Besonderheit. Whisper ist eine Kreuzung zwischen einem sozialen Netzwerk und einer Instant Messaging-App, bei dem man ein Pseudonym wählt. Die Nachrichten bestehen aus Text und einem Hintergrundbild und werden öffentlich mit anderen Nutzern geteilt. Die können ihrerseits reagieren oder loven.
Auf Secret sendet man in gleicher Weise Nachrichten. Der große Unterschied zu Whisper ist, dass man stets mit den eigenen Kontakten kommuniziert. Wenn diesen die Nachrichten gefallen und sie auf love klicken, erreichen die Nachrichten die Freunde der Freunde. Doch die Verbreitung der Nachrichten wird immer von den eigenen Kontakten abhängen.
Andere Apps wie Firechat gehen weiter. Sie schaffen eine Art von Gruppen-Chat mit Menschen in der eigenen räumlichen Nähe – ohne Datenverbindung oder Netzwerkbereich, dank der Technologie Open Garden.
Laut Micha Benoliel geht die Idee für Firechat zurück auf die Nutzer-Nachfrage nach einer App, die außerhalb des Netzes (off-the-grid) nutzbar ist. Außerdem soll die App das Potenzial der Open Garden-Technologie in einer Art und Weise zeigen, die jeder versteht.
Andere Apps wie rumr oder Truth bleiben zwar ebenfalls anonym, bieten aber eine viel persönlichere Verbindung zu den Kontakten. Auf rumr kann man Chat-Räume mit Freunden erstellen. Jede Person, die spricht, hat ihre eigene Farbe. Aber niemand weiß, wer wer ist. Wie auf der offiziellen Seite steht: “es ist wie ein Gespräch mit ausgeschaltetem Licht.”
Truth geht sogar noch weiter. Man kann damit in anonymisierter Form private Nachrichten an das Telefon eines Kontakts schicken, auch wenn die andere Person die App gar nicht auf dem Smartphone installiert hat.
Unmittelbar und anonym: Das Facebook-Gegenstück
Den Vorteil von Whisper sieht Micha Benoliel im schnellen Einstieg: “Keine Anmeldung und kein Konto erstellen – das gibt den Nutzern mehr Freiheit, sich rasch selbst auszudrücken und zu sagen, was sie wollen.”
Der Chefredakteur von Whisper, Neetzan Zimmerman, sieht das Hauptmerkmal der App in der Anonymität. Gerade das mache es zu einer Art von Anti-Facebook. Denn Whisper ist der Ort, and dem man Infos teilen kann, die man nicht in sozialen Netzwerken posten möchte – dort, wo alles mit dem eigenen Namen und Bild in Verbindung steht.
Laut Zimmermann soll Whisper eine Art soziale Whistleblower werden: Ein Ort, an dem man eher Enthüllungen veröffentlicht als tatsächliche Geheimnisse auszuplaudern.
Mehr als nur Emotionen und Klatsch
Obwohl die meisten Nachrichten private Geständnisse beinhalten, sind die Nutzer nicht nur Jugendliche im emotionalen Taumel. Auch viele Studenten tummeln sich auf den Plattformen und teilen ihre Gefühle mit.
Vor ein paar Wochen, zum Beispiel nährte ein Beitrag auf Whisper das Gerücht, Gwyneth Paltrow betrüge ihre Mann. Einen Monat später verkündete die Schauspielerin die Trennung.
Wie ein Artikel im Nieman Journalism Lab berichtet, arbeitet Whisper mit der Huffington Post zusammen. Die nutzen die Posts, um daraus Stories zu stricken, beispielsweise über die Verbreitung von Marihuana oder 10 Gründe, warum die Großeltern die besten sind. Vor kurzem sind die Macher der App auch eine Partnerschaft mit BuzzFeed eingegangen.
Die Verwendung von Firechat scheint bisher eher begrenzt, es erinnert an die alten 90er-Jahre-Chaträume. Für den Anfang ausreichend, um Fremden Kurznachrichten zu schreiben und mit Freunden ein Zweiergespräch anzuzetteln.
Aber das Potenzial dieser App sei noch nicht wirklich entdeckt, sagt Benoliel: “Der größte Vorteil für den Anwender liegt im Fenster nearby [einer Registerkarte der Anwendung, Anmerkung der Redaktion]. Damit kann man Nachrichten und Fotos mit Freunden teilen, auch wenn ein Zugang zum Internet nicht möglich ist. Firechat ist eine ideale Lösung, zum Beispiel während eines Festivals, wo es fast keine Verbindung gibt. Oder fürs Kommunizieren in der U-Bahn oder im Stadion. ”
In diesem Sinne könnte Firechat zu einer Art von kurzfristigem sozialen Netzwerk werden, wo man beispielsweise Meinungen zu einem Fußballspiel austauscht, und zwar “mit Personen in der Nähe, in Echtzeit und interaktiver als vergleichsweise mit Whisper oder Secret“.
Gefahren und Potenzial
Wie in jedem virtuellen Treffpunkt im Netz, wo anonym Überzeugungen, Meinungen und Frust dargelegt werden, bergen auch Whisper, Secret und Firechat ihre Gefahren.
Zum einen hilft die Anonymität, den Nutzer zu schützen. Andererseits leistet die App all denen Vorschub, die das Netz missbrauchen, wie Stalkern und Trollen. Das trifft besonders auf Apps zu, die direkte Nachrichten ermöglichen, wie Truth. Bisher sind die Reaktionen jedoch überwiegend positiv.
Über Secret und Whisper wurden auch falsche Informationen veröffentlicht, wie etwa der angebliche Eigentümerwechsel zu Evernote. Auch Gerüchte kursieren, wie etwa im Fall des Berichts von Gwyneth Paltrow. Noch kann keiner sagegen, ob die Apps künftig zu Mobbing-Instrumenten mutieren oder sich vielleicht die Anonymitätszusage ändert.
Darüber hinaus zwingen uns herkömmliche soziale Netzwerke wie Facebook, uns stets von unserer besten Seite zu zeigen und eine Art Maske zu tragen. Die anonymen Pendants befreien den Nutzer von solchen Zwängen. Vor diesem Hintergrund sind gerade die öffentlichen Varianten wie Whisper und Firechat eine wegweisende Entwicklung.